Girls rock Patagonia – Frauenpower am Cerro Torre
by Caro North
Ohne Erwartungen fliegen wir Anfang Februar nach Patagonien. Aus unzähligen Berichten wissen wir, dass es möglich ist, dass wir in den vier Wochen dort nichts klettern können. Trotzdem lassen wir uns auf das Abenteuer ein und nehmen das Risiko in Kauf. Von Frankfurt über Rom und Buenos Aires sind wir ca. 24h Stunden später in Calafate, von wo wir mit dem Bus weiter nach El Chaltén fahren. Müde und angestrengt von der Reise fallen mir die Augen bei dem eintönigen Motorengeräusch direkt zu. Doch nur für einige Sekunden, denn dann reißt mich der Fahrer aus meiner kurzen Erholung, um mir Fitz Roy und Cerro Torre zu zeigen, die am Horizont auftauchen. Die nächsten drei Stunden fixieren wir diese zwei Berge, wer weiß, ob wir sie noch sehen werden, außerdem bilden sie im Abendlicht eine beeindruckende Kulisse. Nun wird es uns bewusst: Wir sind wirklich im argentinischen Patagonien, am Ende der Welt, um zu klettern. Der Wahnsinn.
Vier Tage nach unserer Ankunft kündigt sich ein Tag mit gutem Wetter an, sodass wir uns fürs Klettern vorbereiten, was sich als Herausforderung darstellt, da einer unserer Koffer in Rom geblieben ist. Doch wir haben Glück, spät am Abend bevor wir loslaufen kommt tatsächlich der letzte Koffer an und ich bekomme meinen Klettergurt, unser zweites Halbseil und unsere Steigeisen. Gut ausgerüstet steigen wir bei viel Wind auf in unser Nachtlager Piedras Negras. Von dort aus können wir am nächsten Morgen früh über die Brenner-Moschioni (300m, 30° 6b) auf den Gipfel der Guillaumet klettern. Während es morgens noch windet, lässt dieser bald nach und wir genießen einen super Tag und unseren ersten patagonischen Gipfel. Am gleichen Tag wandern wir aus dem Tal hinaus und kommen nachts um 12 Uhr wieder nach El Chaltén.
Nun folgen zehn Tage mit schlechtem Wetter in den Bergen, was für uns bouldern und sportklettern in El Chaltén bedeutet. Gemeinsam mit vielen anderen Kletterern, die auf gutes Wetter warten oder nur zum Bouldern hier sind. Ab und zu gibt es die eine oder andere Fiesta: so lässt es sich leben. Aber trotzdem werden wir langsam etwas ungeduldig und würden gerne etwas „richtiges“ klettern.
…und dann kommt es, das gute Wetterfenster und wir machen uns auf in Richtung Cerro Torre. Wir haben lange überlegt, welche Tour wir klettern. Nachdem es viel geschneit hat und sehr kalt ist, entschließen wir uns, an die Westwand des Cerro Torre zu laufen, obwohl wir großen Respekt davor haben. Das heißt jedoch nun erst einmal drei Tage lang laufen: Vom Rio Electrico das ganze Tal entlang und über den Paso Marconi auf das patagonische Inlandeis, welches wir während eines Tages bei starkem Wind, der uns immer wieder zum stehen bleiben zwingt, passieren. Vom Inlandeis in den Circo de los Altares und von dort aufs Col de la Esperanza, was bereits einige Kletterpassagen beinhaltet.
Am Mittwoch den 20.02.2013 beginnen wir die Ragni-Route (auch Ferrari genannt) (600m, 90° M4) am Cerro Torre. Die ersten paar hundert Meter klettern wir am laufenden Seil und kommen schnell voran, das Eis ist gut und wir voll motiviert. Von den Seilschaften über uns kommen immer wieder Eisstücke angeflogen, die sehr schmerzen, wenn sie uns treffen, was leider viel zu oft passiert. Auch die erste steilere Seillänge gelingt uns problemlos und wir klettern über bizarre Schneeformationen zum Elmo. Noch ein bisschen steiles Eis und dann etwas steiler Schnee, bevor es flacher wird, bis wir an die mixed Seillängen kommen. Hier laufen wir auf die Seilschaften vor uns auf und verlieren leider mit Warten kostbare Zeit. Das Klettern der Mixedseillängen ist dann reinster Genuss: Extrem schöne Kletterei. Anschließend erreichen wir die Headwall, in der es noch einmal richtig steil wird. Somit kostet es uns einiges an Zeit bis wir den Grat erreichen. Während bisher alles gut absicherbar war, wird es ab hier schwieriger. Wir überwinden den ersten Eispilz und klettern bis in ein kleines Col. Die Sonne geht unter und verzaubert die Umgebung, vor allem den Fitz Roy uns gegenüber. Innerhalb kürzester Zeit wird es dunkel. Uns trennen nur noch 2 Seillängen vom Gipfel des Cerro Torres, doch es ist dunkel und wir bereits merkbar erschöpft… wir zögern. Von oben kommen uns Eneko und Iker Pou entgegen, die auf dem Gipfel waren und erzählen, dass die letzte Seillänge schwerer ist, als alles bisher gekletterte und nicht gut abzusichern. So entscheiden wir uns letztendlich abzuseilen. Wir sind die erste Frauenseilschaft, die sich an dieser Tour versucht hat und müssen leider kurz vor dem Gipfel aufgeben, aber immerhin bis in die Eispilze des Cerro Torres sind wir geklettert und das mit 21 und 26 Jahren während unseres ersten Patagonien Aufenthalts. … kein schlechtes Resultat.
Zwei Tage später sind wir nach langem Laufen mit schmerzenden Füßen und Rücken wieder in El Chaltén.
Doch viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht, denn nach vier weiteren Tagen kommt schon wieder ein Wetterfenster und wir machen uns auf zum Fitzroy. Es hat erheblich geschneit und die Vorderseite des Fitz ist bedeutend weiß, sodass wir nach längerem Überlegen und Abwägen beschliessen, auf die Rückseite zu laufen an die Route Afanasieff, die mit ihren1550m die längste Route an diesem imposanten Berg darstellt. Gleichzeitig ist es auch die leichteste und wir hoffen somit, dass sie trotz etwas Schnee zu klettern ist. Während die ersten Seillängen im Fels gut laufen, stoßen wir bald auf viel Schnee und Eis, was uns extrem verlangsamt. So erreichen wir ein Biwak erst in der Dunkelheit, nachdem wir einiges mit Stirnlampen geklettert sind. Am nächsten Morgen stehen wir vor der großen Herausforderung vereister Risse und schneebedeckter Platten, deren Überwindung uns sehr viel Zeit kostet. Wir klettern fünf Seillängen, um dann auf ein perfektes Biwack zu stoßen, direkt unterhalb der steilen Kletterpassagen. Diese sind komplett nass und wir beschließen, nachdem wir uns die erste Seillänge hochgefürchtet haben, diese zu fixieren und bis zum nächsten Tag zu warten um so trockenere Verhältnisse zu haben. So verbringen wir einen Nachmittag ganz gemütlich mit Regeneration in der Sonne um am nächsten Morgen bei deutlich trockenerer Wand wieder anzugreifen. Die steile Passage überwinden wir schnell, da zum Glück nur noch einzelne Stellen mit Eis überzogen sind. Sobald wir aber auf den Grat und die andere Seite rausqueren, warten Unmengen von Schnee und Eis auf uns, die das Klettern erheblich erschweren. Mit Kletterschuhen und unserem Minieisgerät arbeiten wir uns Seillänge für Seillänge hoch, dabei schließen wir uns teilweise mit anderen Seilschaften zusammen, um schneller zu sein. Vor allem die Eisglasuren sind sehr schwer zu meistern. Erneut klettern wir mit Stirnlampen in der Nacht weiter, bis wir schließlich einen Biwackplatz finden. Diesmal ist es nicht so komfortabel: Wir schaufeln uns eine kleine Plattform im Schnee, aber zum Liegen reicht es nicht. Gemeinsam mit einer chilenisch-argentinischen Seilschaft teilen wir den kleinen Platz. Am nächsten Tag folgen zwei weitere Seillängen, die durch die widrigen Bedingungen mixed Kletterei erfordern (ohne Steigeisen, denn wir haben nur unsere Alueisen für den Abstieg dabei) und dann endlich Gelände, in dem man zügig vorankommt: Schnee und Fels abwechselnd, jedoch gut kletterbar. Wir genießen es, nach der Schufterei der letzten Tage und sprinten dem Gipfel entgegen: Oben ist die Freude groß! Wir stehen nach vier Tagen harter Arbeit tatsächlich auf dem Gipfel des Fitz Roy – ein unglaubliches Gefühl.
Darauf folgend seilen wir die Nacht hindurch ab, bis wir die Brecha erreichen, einen Schnee/Eisgrat den es zu queren es gilt, um anschliessend weiter auf den Gletscher abzuseilen. Bevor wir dies tun schlafen wir aber noch drei Stunden: Beim Aufwachen habe ich den Eindruck, stärker erschöpft zu sein, als davor. Aber die letzten Kräfte sind schnell mobilisiert und weiter geht´s. Noch zehnmal abseilen und wir stehen auf dem Gletscher, doch unsere Freude wird schnell gebremst, als wir merken, dass wir oberschenkeltief im Schnee versinken. So spuren wir uns unseren Weg zum Paso Superior, von wo aus wir zum Rio Electrico absteigen, was noch mit viel laufen verbunden ist. Es war sicherlich mehr Kampf als Genuss mit den Bedingungen und ich habe mich nicht nur einmal gefragt, warum ich das mache. Aber mit dem Gipfel in der Tasche und den Empanadas in El Chaltén bleiben die fünf Tage in guter Erinnerung und wir sind um einiges reicher an Erfahrung.
Wirklich erholen können wir uns jedoch noch nicht, denn am nächsten Mittag geht schon unser Bus zurück zum Flughafen in Calafate und vorher müssen wir noch packen und putzen, was uns dann auch in letzter Minute gelingt. Wir nehmen traurig Abschied von El Chaltén und den neugewonnen Freunden, aber es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass wir hier waren!
Unterstützt wurden wir von Mammut, Scarpa und Katadyn, denen allen unser Dank gilt.